Expterteninterview mit Jens Bentlage: Rückenschule: Übungen der Physiotherapie einfach in den Alltag integrieren

Jens Bentlage - Foto des Autors zum Interview über die Rückenschule

Jens Bentlage, geboren 1966, verheiratet, drei Kinder, Physiotherapeut seit über 30 Jahren, arbeitet in eigener Praxis mit 12 Mitarbeiterinnen mit Schwerpunkt Orthopädie und Chirurgie: www.jb-physio.de.

Jens Bentlage

Mitgründer von Online-Physiotherapie GmbH, welche einen YouTube Channel betreibt und Online Präventionskurse erstellt.

Entwickler digitaler Rückentherapien als DiGa (digitale Gesundheitsanwendungen) bei eCovery GmbH: www.ecovery.de

Inhaltsverzeichnis

Grundlagen

Warum ist Rückengesundheit gerade im pädagogischen und therapeutischen Alltag ein so zentrales Thema?
Was macht diese Berufsgruppen besonders anfällig für Rückenprobleme?

Gerade therapeutisch und pädagogisch arbeitende Berufsgruppen sind körperlich und psychisch besonders stark belastet, weil sie in einem Spannungsfeld aus körperlicher Belastung, psychischer Anspannung und organisatorischen Hürden arbeiten. Das betrifft den Bereich von ErzieherInnen, die Kinder häufig tragen und auf kleinen Stühlen oder dem Boden sitzen ebenso, wie TherapeutInnen, die schwere und stark bewegungseingeschränkte PatientInnen zu mehr Aktivität verhelfen. Der körperliche Einsatz ist hier unvermeidbar. Der Vorteil der pädagogischen und therapeutischen Berufe ist, dass sie häufig abwechseln zwischen Sitzen, Stehen und Gehen und auch zwischen Be- und Entlastung.

Ein anderer Aspekt der Rückengesundheit im pädagogischen und therapeutischen Alltag ist die Vorbildfunktion. Das ist wie der Schuster mit den schlechten Schuhen: man erwartet, dass diese Berufsgruppen auf sich achten und ihre Belastungen durch Sport und eine gute Körperhaltung sowie rückenschonendes Arbeiten ausgleichen. Doch vor Rückenschmerzen ist niemand ganz gefeit.

Rücken einer Frau - Abbildung zum Artikel "Rückenschule".

Welche typischen Fehlhaltungen oder Belastungen beobachten Sie bei Lehrkräften und Therapeuten im Arbeitsalltag?

Im Unterricht können Lehrkräfte die Position wechseln zwischen Stehen, Sitzen und Herumgehen, das ist schon mal ein Vorteil. Bei Konferenzen und beim Korrigieren sieht es anders aus: langes Sitzen, hohe Konzentration und vielleicht auch eine gewisse Anspannung sorgen für einen runden Rücken und hochgezogene Schultern, manchmal mit überschlagenen Beinen – da ist klar: der Rücken leidet. Überhaupt scheint mir die Anspannung ein großes Problem: hat die Lehrkraft eine unruhige Klasse vor sich, wird sie automatisch die Muskulatur anspannen.

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Im therapeutischen Bereich kommt es sehr stark auf die Ausstattung an: höhenverstellbare Behandlungsbänke oder Arbeitstische, verschiedene Sitzmöglichkeiten etc. dienen der Rückengesundheit. Ist diese Ausstattung nicht gegeben, dann belastet dies den Rücken. Sind körperliche Anstrengungen wie das Umlagern oder Mobilisieren eines schweren Patienten an der Tagesordnung, so geschieht dies teilweise auch aus Zeitmangel nicht mit gestärktem Rücken in sogenannter gerader Haltung, sondern gebeugt. Das ist dann gefährlich.

Grundsätzlich beobachte ich bei diesen – und auch anderen – Berufsgruppen ein Problem: die Arbeitstage sind anstrengend. Wenn man nach Hause kommt, möchte man sich ausruhen. Dieses „Ausruhen“ verbinden viele mit der Vorstellung davon, auf dem Sofa zu sitzen und fernzusehen, zu reden oder zu lesen. Hier sollte ein Umdenken stattfinden: Erholung ist bei anstrengenden Berufen in der Bewegung zu suchen, zum Beispiel beim Schwimmen, Joggen oder Spazierengehen. Die Belastung muss nicht hoch sein, ganz im Gegenteil. Dies bedeutet für den Körper echte Erholung.

Rückenabbildung - Abbildung zum Artikel "Rückenschule".

Was versteht man unter „Rückenschule“ in der Physiotherapie – und was sind die Ziele dieser Methode?

In der Physiotherapie bezeichnet die „Rückenschule“ ein ganzheitliches Konzept zur Vorbeugung und Behandlung von Rückenbeschwerden. Sie kombiniert

  • praktische Übungen,
  • Wissensvermittlung und
  • Verhaltensänderung,

um Menschen zu einem rückenfreundlicheren Alltag zu befähigen.

Konkret heißt das: die Menschen sollen lernen, wie rückengerechtes Verhalten aussieht, wie es sich umsetzen lässt und wie es sich anfühlt. Da werden dann konkrete Alltagssituationen geübt. Die Teilnehmenden sollen selbst herausfinden, was Ihnen guttut, aber auch, wie sie ihren Rücken entlasten können und wann sie sich Hilfe holen sollten, wenn es um das Heben und Tragen geht. Dazu gehört auch die Kräftigung der Rumpfmuskulatur und die Förderung von Beweglichkeit. Da Rückenschmerzen und Stress untrennbar miteinander verbunden sind, kann eine Rückenschule im besten Fall auch Entspannungstechniken beinhalten.

Im Unterschied zur früher rein körperlich ausgerichteten Rückenschule, ist die heutige Rückenschule nach modernen Leitlinien multimodal orientiert – das heißt, körperliche, psychische und soziale Faktoren werden gleichermaßen berücksichtigt.

Übungen

Können Sie uns drei effektive, alltagstaugliche Übungen aus der Rückenschule vorstellen, die man ohne Geräte durchführen kann?

Gerne nenne ich Ihnen auch fünf Übungen. Die ersten beiden können überall und fast komplett unauffällig gemacht werden.

Übung 1: Beckenkippen im Stand

Ziel: Mobilisierung der Lendenwirbelsäule und Aktivierung der tiefen Rumpfmuskulatur.

So geht’s:

Stelle dich hüftbreit hin, die Knie sind leicht gebeugt. Bewege das Becken langsam und bewusst im Wechsel nach vorne (Hohlkreuz) und dann nach hinten (runder Rücken)

Wiederholungen:
Eine Minute lang bewegen, 2 Durchgänge.

Tipp: Diese Übung lässt sich auch sehr gut im Sitzen an einer Stuhlkante machen. Deshalb auch ideal auf dem Bürostuhl oder bei langen Autofahrten.

Ein Schild mit einer Skizze von einem Rücken - Abbildung zum Artikel "Rückenschule".

Übung 2: Fersenheben

Ziel: Kräftigung der Wadenmuskulatur, Rumpfstabilisierung, Förderung der Durchblutung und Verbesserung des Gleichgewichts – ideal zur Entlastung bei langem Sitzen oder Stehen.

So geht’s:

Stelle dich hüftbreit hin, die Knie sind leicht gebeugt und das Körpergewicht ist gleichmäßig auf beide Füße verteilt. Nun spanne deinen Bauch leicht an und hebe die Fersen, sodass du auf den Fußballen bzw. Zehenspitzen stehst. Halte diese Position, zähle bis drei und senke die Fersen langsam wieder ab.

Wiederholungen:
10–15 Mal, bei Bedarf 2–3 Durchgänge.
Zur Steigerung kann die Übung einbeinig oder auf einer Stufe ausgeführt werden.

Tipp:
Diese Übung lässt sich leicht in den Alltag integrieren – z. B. beim Zähneputzen, Warten an der Kasse oder am Kopierer.

Übung 3: Ausfallschritt

Ziel: Dehnung des Hüftbeuge-Muskels und Kräftigung der Beinmuskulatur

So geht’s:

Mache mit einem Bein einen großen Ausfallschritt. Nun bewege deinen aufrechten Oberkörper nach vorne – ohne dabei ins Hohlkreuz zu gehen – bis Du eine deutliche Dehnung in der Leiste spürst. Halte die Spannung für 1-2 Minuten und wechsle die Seite.

Alltagstipp: Perfekt als Mini-Pause, wenn man unbeobachtet ist.

Übung 4: Flankendehnung

Ziel: Dehnung der seitlichen Muskelketten

So geht’s:

Deine Beine stehen hüftbreit auseinander. Überkreuze nun das rechte hinter dem linken Bein und stelle es auf den Boden. Gleichzeitig streckst Du Deinen rechten Arm zur Decke und bewegst ihn so weit wie möglich zur linken Seite, bis Du eine Dehnung in Deiner Flanke spürst.

Halte die Spannung für ca. 30 Sekunden und wechsle die Seite.

Übung 5: Lumbalfeder

Ziel: Dehnung und Mobilisation der unteren Rückenfaszie

So geht’s:

Stelle dich hüftbreit hin und lass deine Knie leicht gebeugt. Rolle deine Wirbelsäule vom Kopf ausgehend langsam ein und gehe mit den Fingerspitzen in Richtung Boden. Verweile dich hier ein bisschen und fange dann an, langsam acht mal zu federn. Bleibe noch etwas in dieser Position und federe nun acht mal nach links. Nach einer weiteren kurzen Pause federst du nun acht mal nach rechts. Nun richte dich langsam wieder auf und komm in deinem eigenen Tempo nach oben.

Spazierende Frau - Abbildung zum Artikel "Rückenschule".

Alltagstipps

Wie viel Zeit sollte man täglich oder wöchentlich für rückengesunde Bewegung einplanen?

Es gibt bestimmte Richtwerte, beispielsweise mindestens 30 Minuten moderate Bewegung an 4-5 Tagen in der Woche, am besten täglich. Zusätzlich sollte gezielt gekräftigt und gedehnt werden. Dabei empfehlen sich wöchentlich 2-3 Trainingseinheiten. Diese sollten nach klassischen Trainingsprinzipien ablaufen und zwischen 20 und 30 Minuten dauern, möglich ist aber auch ein kurzes und intensives Krafttraining (HIIT), das ähnlich effektiv ist. Ich bin grundsätzlich ein Freund der „Kleine-Schritte-Philosophie“, denn wer sich zu viel vornimmt, macht am Ende oft gar nichts. Wer sich kleine Ziele setzt, zum Beispiel, täglich zehn Minuten spazieren zu gehen und zweimal wöchentlich zehn Kniebeugen zu machen, der wird sehr schnell feststellen, dass es nicht „stört“ etwas für seine Gesundheit zu tun und sich in der Regel von ganz alleine steigern. Der Prozess kann Jahre dauern, aber sich zehn Minuten zu bewegen, ist besser als nichts. Das Problem ist meistens, dass Menschen sich falsch einschätzen, an den falschen Vorbildern orientieren und sich zu viel vornehmen.

Gibt es Warnsignale, bei denen man ärztliche oder physiotherapeutische Hilfe in Anspruch nehmen sollten?

Rückenschmerzen sind zwar oft harmlos und vorübergehend, aber in bestimmten Fällen können sie auf ernstere Probleme hinweisen. Dazu gehören Schmerzen, die neu auftreten, nicht nachlassen oder sich rasch verschlimmern. Außerdem ausstrahlende Schmerzen in Beine oder Arme, z. B. Kribbeln, Taubheitsgefühle, Brennen oder Lähmungserscheinungen.  In Kombination mit Fieber, Schüttelfrost oder Gewichtsverlust können Rückenschmerzen auf entzündliche oder systemische Erkrankungen hinweisen.

Schülerin mit Schulranzen - Abbildung zum Artikel "Rückenschule".

Fokus auf Kinder und Jugendliche

Welche Rolle spielt Aufklärung und Körperwahrnehmung in der Rückenschule – und wie kann man das auch mit Kindern und Jugendlichen thematisieren?

Aufklärung und Körperwahrnehmung spielen in der Rückenschule eine zentrale Rolle, denn sie sind die Grundlage für nachhaltige Verhaltensänderungen und einen gesunden Umgang mit dem eigenen Körper – besonders im Alltag.

Jedoch kann die Vermittlung bei Kindern und Jugendlichen unterschiedlich sein. Kinder mögen es, wenn Dinge spielerisch vermittelt werden, und ehrlich gesagt haben sie ein Recht darauf, dass dies so und nicht anders geschieht. Selbstverständlich kann man sie mit Schaubildern aufklären über den Körper, die Muskeln und die Wirbelsäule, denn sie lernen ja gern und sind wissbegierig. Bei den Übungen geht es dann um Bilder: schlängeln wie eine Schlange, groß und aufrecht wie ein Bär, strecken wie eine Katze, still liegen wie ein Faultier.

Bei den Jugendlichen sieht es ganz anders aus: sie sind häufig unsicher bezüglich ihres Körpers. Über Social Media bekommen sie ein Körperbild präsentiert, das wenig mit der Realität zu tun hat und im ungünstigen Fall eine Haltung im Hohlkreuz propagiert, um den Hintern zur Geltung zu bringen. Hier muss man mit Fingerspitzengefühl vorgehen, die Aufmerksamkeit ganz sachte lenken und viel Raum lassen. Wichtig ist es auch, die Jugendlichen dafür zu sensibilisieren, wie viel Zeit am Tag sie im Sitzen verbringen. Dies ist meistens leider viel zu viel. Gemeinsam kann man Strategien entwickeln, wie das aufgelöst werden kann. Was macht den Jugendlichen Spaß? Vielleicht ein Ballspiel mit Freunden. Warum nicht mal wieder auf dem Bolzplatz treffen?

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Fokus auf Pädagogen und Therapeuten

Wie wichtig ist es für Pädagogen und Therapeuten, während ihrer sitzenden Tätigkeit gesund zu sitzen?

Sitzen an sich ist nie wirklich „gesund“, denn unser Körper ist auf Bewegung ausgelegt. Dennoch lässt sich das Sitzen im Berufsalltag nicht vermeiden. Umso wichtiger ist es, auf eine möglichst ergonomische und dynamische Sitzhaltung zu achten. Das bedeutet: regelmäßig die Position wechseln, bewusst aufrecht sitzen und gezielt Bewegungspausen in den Tag integrieren. Nur so können die belastenden Auswirkungen des langen Sitzens reduziert und Beschwerden wie Rücken- oder Nackenschmerzen langfristig vermieden werden. Gesundes Sitzen heißt also nicht, dass Sitzen „gesund“ ist – sondern, dass wir es so rückenfreundlich, bewegungsnah und abwechslungsreich wie möglich gestalten.

Mann mit Buch an einem Schreibtisch - Abbildung zum Artikel "Rückenschule".

Wie kann man rückengerechtes Verhalten in den Alltag integrieren, auch wenn der Terminkalender voll ist?

Wie gesagt: aus meiner Sicht sind es die kleinen Schritte, die eine große Wirkung erzielen. Rückengerechtes Verhalten lässt sich auch bei vollem Terminkalender praktisch und zeitsparend in den Alltag integrieren – nicht durch „mehr Zeit“, sondern durch bewusstes Verhalten bei ganz normalen Tätigkeiten. Eine aufrechte Haltung beim Sitzen und Stehen, mit locker fallenden Schultern, angehobenem Brustbein und gleichmäßig verteiltem Körpergewicht, ist dabei ein wichtiger Ausgangspunkt. Um die Haltung regelmäßig zu überprüfen, helfen sogenannte Erinnerungsanker: zum Beispiel jedes Mal beim E-Mail-Lesen, an der Supermarktkasse oder auch beim Zähneputzen – hier lassen sich zusätzlich kurze Übungen wie Fersenheben oder Beckenkippen einbauen.

Telefonate können im Stehen oder Gehen geführt werden, um langes Sitzen zu unterbrechen. Wer kurze Wege mit dem Fahrrad statt dem Auto zurücklegt oder lieber die Treppe als den Aufzug nimmt, bringt automatisch mehr Bewegung in den Tag. Auch am Schreibtisch lohnt es sich, regelmäßig die Sitzposition zu wechseln – mal aufrecht vorn, mal zurückgelehnt oder zeitweise im Stehen am Stehpult zu arbeiten. Beim Tragen von Taschen oder Materialien sollte auf eine gleichmäßige Belastung geachtet werden – also besser zwei gleich schwere Taschen als eine einseitige.

Tipp aus der Praxis

Haben Sie zum Abschluss einen persönlichen Tipp oder ein „Geheimnis“ aus Ihrer Praxis, das bei Rückenbeschwerden besonders schnell hilft oder präventiv wirkt?

Da habe ich sogar drei Tipps: erstens bewegen, zweitens bewegen und drittens unbedingt bewegen!

Der Schlüssel ist nicht die Intensität, sondern die Regelmäßigkeit. Rückenfreundlich leben heißt nicht, perfekt zu trainieren – sondern den Alltag bewegter, bewusster und achtsamer zu gestalten.

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