Waldkindergarten – Pädagogik in der freien Natur

Jeden Tag auf Kinderbeinen durch den Wald

Das Konzept des Waldkindergartens stammt aus Dänemark. Obwohl die Waldpädagogik in Skandinavien am schnellsten populär wurde, entstand in Deutschland der erste private Waldkindergarten immerhin schon Ende der 60er Jahre. Der erste offizielle ließ allerdings bis 1993 auf sich warten. Inzwischen ist die Idee im deutschsprachigen Raum tausendfach aufgegriffen und umgesetzt worden.

Wie der Name vermuten lässt, findet  beim Waldkindergarten die Kinderbetreuung in der Natur – vorzugsweise im Wald – statt. Was diejenigen, denen das Thema neu ist, vielleicht doch überraschen dürfte, ist der Umstand, dass der Waldkindergarten bei jeder Jahreszeit und bei jedem Wetter stattfindet! Ausnahmen werden nur gemacht, wenn die Sicherheit nicht gewährleistet werden kann, zum Beispiel aufgrund von Blitzschlag, Sturm, zu heftigem Regen oder extremer Kälte. In Deutschland ist es obligatorisch, dass unmittelbar vor Ort die Möglichkeit besteht, sich unterzustellen und aufzuwärmen. Dabei handelt es sich meistens um einfache Hütten und Bauwägen.

Ein beheizbarer Rückzugsort ist Pflicht.

Um eventuellen Missverständnissen vorzubeugen, müssen wir klar zwischen echten Waldkindergärten und herkömmlichen Kindergärten unterscheiden, die die Waldpädagogik in ihr Konzept einfließen lassen. Dass Letzteres mittlerweile recht häufig vorkommt, ist ein positiv zu beurteilender Trend, der von den Waldkindergärten in Gang gebracht wurde.

Grundgedanken und Ziele der Waldpädagogik

Die Waldpädagogik teilt viele Grundgedanken mit anderen Sparten der Reformpädagogik. Denn besonders wichtig ist auch hier die Auffassung, dass in der Kindheit das Fundament für die Entwicklung der Persönlichkeit gelegt wird. Deswegen sollen Kinder schon beim Spiel Eigenständigkeit entwickeln und ein Gefühl für Selbstwirksamkeit und die Freiheit des Denkens entwickeln. So kann sich auch ein – dem Alter angemessenes, also: nicht übertriebenes – Verantwortungsbewusstsein einstellen.

Die besondere, wohltuende Wirkung der Natur, die empfundene Verbindung mit ihr und die kindliche Empfänglichkeit dafür spielt in den meisten anderen reformpädagogischen Ansätzen ebenfalls eine wichtige Rolle. Aber Naturnähe und -verbundenheit sind der Waldpädagogik selbstverständlich ein ganz besonders entscheidendes Anliegen. Achtung vor der Natur, das Begreifen der ökologischen Zusammenhänge soll nicht nur von außen vermittelt sondern durch eigene Erfahrung verinnerlicht werden.

Waldkindergarten in der Praxis

Auch im Waldkindergarten gibt es einen organisatorischen Rahmen: Es gibt einen Morgenkreis und ein gemeinsames Frühstück. An jedem Morgen werden die Regeln zusammen durchgegangen. Zum Beispiel: Nichts, absolut nichts, wird gegessen, außer den mitgebrachten Lebensmitteln. Die Kinder werden also keineswegs einfach nur sich selbst überlassen, während den Verantwortlichen lediglich eine Aufsichtsfunktion zukommt. Kinder nehmen es sehr gerne an, wenn ihnen Vorschläge für eigenständige Beschäftigungen gemacht werden, welche Spannung und Spaß versprechen. In dieser Form werden Impulse durch die Erzieherinnen und Erzieher gesetzt.

Die Natur als Spielumgebung

Die Ideen sollen aber so gewählt sein, dass über ein Mindestmaß an Erklärungen hinaus keine Anleitungen mehr nötig sind. Die Erwachsenen stehen für eventuelle Fragen und Hilfestellungen zur Verfügung. Mehr ist nicht gewünscht und auch nicht nötig, weil die Natur eine großartige Spielumgebung ist, die von sich aus unzählige Anregungen und Möglichkeiten bietet. Genau dieses Potenzial wird ja genutzt, um die typischen Ziele der Waldpädagogik zu verfolgen. Die Natur sorgt für Forschungsobjekte, Baumaterialen, Klettermöglichkeiten und Spielzeug. Die Kinder gehen täglich in den Wald, um diesen jedes Mal von neuem als ergiebigen Spiel- und Erlebnisort zu nutzen.

Mit natürlichen Materialien die Fantasie fördern

Weil die natürlichen Materialien keine Nachbildungen von Autos, Personen, Flugzeugen, Werkzeugen etc. sind, ist die Fantasie besonders gefordert. Die Kinder entdecken interessante Formen, assoziieren Ähnlichkeiten, spielen mit Ästen, Steinen und Rindenstücken. Industriell gefertigtes Spielzeug nimmt Kindern einen Teil das kreativen Prozesses beim Spiel ab. Je mehr ihre Fantasie ins Spiel einfließt, desto weniger Grenzen sind ihnen gesetzt. In dieselbe Richtung zielen übrigens auch solche Spielplätze, die den neusten Forschungserkenntnissen entsprechen. Dort werden nicht einfach nur Spielgeräte aufgestellt. Vielmehr wird darauf geachtet, dass eine spannende und natürliche Umgebung den Kindern die Möglichkeit bietet, auf vielfältige Weise kreativ zu werden (Lesen Sie dazu unseren Beitrag Konzepte für einen guten Spielplatz).

Gemeinschaftssinn und Sozialverhalten trainieren

Da in Waldkindergärten ein Großteil des Spiels im Bauen von Spielzeug und Spielbehausungen besteht, werden die Kinder zur Zusammenarbeit angeregt. Das unterstützt den Gemeinschaftssinn. Sozialverhalten wird trainiert. Die Aufsichtspersonen setzen in vernünftigem Rahmen auf die Fähigkeiten der Kinder, Konflikte ohne Eingriffe von außen zu regeln. Auf diesem Weg wird auch die Sprachkompetenz erheblich gestärkt, da die Auseinandersetzung mit anderen ja größtenteils über die Sprache funktioniert.

Das gemeinsame Spiel in der Natur stärkt den Zusammenhalt.

Gesundheitliche Aspekte und weitere Vorteile des Waldkindergartens

Seitens der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. wird in einem wissenschaftlichen Aufsatz zum Spielen im Freien darauf hingewiesen, dass eigenständiges Spiel ein biologisch angelegtes Bedürfnis ist. Es bringt Kinder dazu, ihre Umwelt kennenzulernen. Das stärkt ihre geistige Flexibilität und die Fähigkeit, sich auf neue Situationen einzustellen.

„Bewegungsorientierter, kreativer, spielerischer, zeitvergessener Umgang mit der Umwelt“ sei die von Kindern bevorzugte Lernform. 

Das Draußenspiel käme dem natürlichen kindlichen Bewegungsbedürfnis entgegen, heißt es in dem Aufsatz. Damit biete es ein wünschenswertes Gegengewicht dazu, dass Kinder heute immer mehr Zeit im Sitzen verbringen. Körperliche Betätigung fördere die Entwicklung, da viele biologischen Prozesse umfangreiche Bewegung voraussetzten. Die Motorik werde durch bewegungsintensives Spiel verbessert, Knochenaufbau und Immunsystem gestärkt.

Viel Bewegung in der kindlichen Entwicklungsphase wirke sogar schützend gegen manche Krebsarten, während zu wenig körperliche Betätigung große Risiken für die Gesundheit berge. Sie schützt auch vor Übergewicht, das heute immer öfter festgestellt wird und das gesundheitliche Probleme mit sich bringt. Die Bewegung führt zudem zu gesteigerter Ausgeglichenheit und einem gesunden Ruhebedürfnis am Abend. Es muss wohl nicht extra betont werden, wie sehr dies der Qualität des Familienlebens zugute kommen kann.

Ganz konkret auf das Spiel und den Unterricht in der freien Natur bezogen zeigen Forschungsergebnisse an der TU München auf, dass die vermehrte Bewegung und die Wirkung der Natur bei Kindern den Stresshormonlevel sinken lässt.

Im Waldkindergarten das Zählen lernen

Außerdem, heißt es dort, werde handlungsorientiertes Lernen gefördert. Die Natur biete viele Möglichkeiten, Unterrichtsstoff auf konkrete Phänomene zu beziehen und somit die Nützlichkeit des Gelernten zu erkennen. Beispiel Mathematik: Im Wald gibt es viel zu zählen. Für Schulkinder (es gibt ja auch Waldklassenzimmer) geht es auch anspruchsvoller: Wie etwa lässt sich die Höhe eines Baumes oder Berges feststellen? Die Lernmotivation lässt überdies in der Natur kaum nach, im Gegensatz zum Lernen im Klassenraum.

Ein Waldkindergarten hat auch Nachteile

  • Natur bedeutet, den Elementen ausgesetzt zu sein. Zwar hat das eine stärkende Wirkung auf das Immunsystem. Aber Hitze, Kälte und Niederschlag können leicht die guten Seiten des Waldkindergartens vergessen lassen.
  • Die Öffnungszeiten orientieren sich an den hellen Stunden des Tages und können sich jahreszeitenbedingt ändern.
  • Auf den Betreuerinnen und Betreuern lastet eine höherer Verantwortungsdruck. Denn im Wald können Kinder eher verloren gehen als auf einem Kindergartengelände.
  • Kinder mit Pollenallergie werden oft nicht aufgenommen.
  • Im Wald gibt es Zecken und andere lästige Insekten.
  • Meistens ist auch das Engagement der Eltern gefragt.
  • Die Bring- und Abholzeiten sind wenig bis gar nicht flexibel. Da die Kinder im Wald sind, gibt es in der Regel einen Treffpunkt, zum Beispiel einen Parkplatz, wo sich alle zu verlässlichen Zeiten einfinden müssen.

Fazit

Ein Waldkindergarten bringt Umstände mit sich, die von manchen sicher als Nachteil empfunden werden. Man sollte deshalb sehr gründlich darüber nachdenken, ob der Besuch wirklich in Frage kommt – nicht nur für das Kind sondern für die ganze Familie.

Bei allen Härten und Widrigkeiten – vielleicht die schönste Zeit überhaupt.

Wenn die Entscheidung aber wohlüberlegt getroffen wird, stehen die Chancen gut, dass dem Kind ein paar wundervolle Jahre bevorstehen. Denn ein Waldkindergarten kommt sehr vielen kindlichen Bedürfnissen entgegen und wird von den meisten Kindern als Zeit der Abenteuer empfunden und genossen werden. Das Kind wird von seinen Erlebnissen im Waldkindergarten wahrscheinlich auch gesundheitlich, sozial und möglicherweise sogar intellektuell profitieren. Es wird gelernt haben, die Natur zu genießen, besser zu verstehen und zu achten. Und es wird verinnerlicht haben, dass es wichtig ist, sie zu schützen.

Wenn es in der Nähe keinen Waldkindergarten gibt

Es ist möglich, einen Waldkindergarten in Eigeninitiative zu gründen. Informationen dazu finden Sie zum Beispiel in der ersten der im Anschluss genannten Quellen.

Quellen

  • https://www.sdw.de/waldpaedagogik/waldkindergarten#:~:text=Bereits%20vor%2030%20Jahren%20wurden,die%20Idee%20schnell%20zu%20verbreiten.
  • https://www.grin.com/document/31628
  • https://kindergartenpaedagogik.de/fachartikel/paedagogische-ansaetze/moderne-paedagogische-ansaetze/1216
  • https://www.kas.de/de/pressemitteilungen/detail/-/content/draussen-spielen

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