Keine Hausaufgaben?! Geht das?

Hausaufgaben abschaffen - Mutter hilft - Spielundlern-Blog

Schulische Aufgaben Zuhause gestern und heute

Die Geschichte der Hausaufgaben

Zusätzliche Lernaufgaben für Zuhause sind seit Hunterten von Jahren eng mit dem Schulwesen verbunden. Der Klosterunterricht durch Geistliche wie auch der Privatunterricht durch Hauslehrer, im Mittelalter Präzeptoren genannt, war verbunden mit dem regelmäßigen Selbststudium.

Privatunterricht gab es bereits seit der Antike – wohlhabende Bürger ließen Privatlehrer zu ihren Sprößlingen kommen, um sie in Schreiben, Rechnen, Latein und Singen zu unterrichten. Seit dem 10 Jahrhundert richteten Klöster und andere geistliche Einrichtungen Lehranstalten ein. Sie stellten ein Privileg dar und richteten sich ebenfalls vornehmlich an die männlichen Nachfahren der Oberschicht. Erst 400 Jahre später, im Spätmittelalter, wurden in Europa Stadtschulen und Winkelschulen eröffnet. Letztere waren auch für nicht privilegierte gesellschaftlichen Schichten zugänglich. Seit der Antike bis zum frühen Mittelalter war Selbststudium ein elementarer Bestandteil des Wissenszuwachses.

Es ist überliefert, dass im Jahre 1095 n. Chr. ein Lehrer in Venedig, Roberto Nevilles, den Schülern Aufgaben für Zuhause gab, die im Unterricht nicht fleißig genug waren und nicht mit dem Lernstoff nachkamen.In Deutschland sind Lernaufgaben für Zuhause in der Schulordnung seit dem 15. Jahrhundert belegt.

Sie hatten über Hunderte von Jahren Bestand, anscheinend ohne grundlegende Kritik zu erfahren. Dies änderte sich in den letzten 100 jahren.

Anfangs gab es nur vereinzelt Kritik: 1906 beispielsweise stellte der Dresdner Pädagoge Gustav Schanze fest, dass „Hausaufgaben […] vom unterrichtlichen Standpunkte aus als entbehrlich anzusehen [sind]“.

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Stand der Hausaufgaben heute

1982 flammte in deutschen Leitmedien die zentrale Diskussion auf über den Sinn der Hausaufgaben. Es wurden Fragen gestellt zum Wissenszuwachs und dem langfristigen Lernerfolg. Dabei bestand zum großen Teil Einigkeit darüber, dass Hausaufgaben nicht das Mittel der Wahl sind. Der damalige Lösungsansatz war verbunden mit dem geplanten Ausbau der Ganztagsschulen. Es ging dabei jedoch nicht darum, schulische Aufgaben für Zuhause abzuschaffen, sondern sie in die verlängerte Pflichtanwesenheit der Ganztagsschule zu verlagern.

30 Jahre später, zum heutigen Zeitpunkt der 2020er Jahre, ist dies schon allein deshalb nicht mehr denkbar, weil eine längere Betreuung durch den Lehrermangel nicht mehr gewährleistet werden könnte. Zunehmen richten Praktiker und Theoretiker den Blick darauf, ob Kinder nicht besser durch einen aktiven und modernen Unterricht zum Wissenszuwachs angeleitet werden, es geht in den fachlichen Diskussionen häufig verstärkt um Qualität, um Anpassung an heterogene Lerngruppen und um digitalen Unterricht statt um Quantität durch zusätzliche Aufgabenstellungen. Zusätzliche Aufgaben für Zuhause werden als fachlich unsinnig oder als Schikane betrachtet.

Hausaufgaben sind also seit Jahrzehnten ein ersthafter Kritikpunkt am Modell Schule. Das 21. Jahrhundert scheint die erste Epoche in der Geschichte der Schule zu sein, in der Hausaufgaben als Mittel zu Festigung und Vertiefung des Lernstoffes ernsthaft und zunehmend in Frage gestellt werden.

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In den letzten 10 Jahren änderten unzählige Schulen die Richtlinien zu den Hausaufgaben. Vor allem im Bereich der Grundschule und beim Schulmodell der Ganztagsschulen werden vielfach keine Aufgaben mehr für Zuhause aufgegeben. Viele Grundschulen schaffen Aufgaben für Zuhause gänzlich ab, dazu verlagern Ganztagsschulen sie immer mehr in die Schul- oder Hortzeit hinein. Einige Schule führten in den letzten Jahren Lernzeiten ein, die in der Schulzeit zu erledigen sind. Dies führt dazu, dass ein Großteil der Grund- und Ganztags-Schüler zu Hause keine zusätzlichen Lernarbeiten mehr ausführen müssen.

Bestehen an Schulen noch immer Hausaufgaben, so gibt es mittlerweile entlastende Regeln: Sie sind über das Wochenende oder nach Schultagen mit Nachmittagsunterricht verboten, ebenfalls sind sie als Strafaufgaben nicht erlaubt. Außer in Berlin dürfen die Lehrer sie nicht benoten.

Dennoch halten ein Großteil der Schulen in Deutschland, vor allem Oberschulen und weiterführende Schulen, an den Hausaufgaben fest. Viele Bundesländer schreiben sie in ihren Schulordnungen noch immer als notwendig fest.

Welche Vorteile und welche Nachteile von Aufgaben für Zuhause gibt es?

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Vor- und Nachteile von Hausaufgaben

Fehlende Wirksamkeit hinsichtlich der Schulleistung

Wie kommt es, dass sich Hausaufgaben über Hunderte von Jahren im Schulsystem erhalten haben, dabei aber die begründete Annahme besteht, dass sie keinen wirklichen Wissenszuwachs bewirken, dass sie weder eigenständiges Lernen noch Festigung des Lernstoffes ermöglichen? Es gibt hierzu einige ausssagekräftige Studien, jedoch sind sie selten und nicht breit angelegt.

Eine Studie aus den 70er Jahren jedoch ist noch immer vielzitiert und spricht für sich. Der Erziehungswissenschaftler Bernhard Wittmann setzte dabei für seine Schüler in Deutsch und Mathe die Hausaufgaben für vier Monate aus. Er prüfte die Auswirkungen durch Tests. Sein Ergebnis war eindeutig: Die Hausaufgaben beeinflussten das Wissen der Kinder nicht: „Es kann keine Wirksamkeit der Hausaufgaben behauptet werden.“

In den 2000er Jahren bestätigte eine Untersuchung an der TU Dresden diese Erkenntnis. Prof. Hans Gängler stellte fest, dass gute Schüler nicht besser, dafür aber schlechte Schüler schlechter werden, wenn sie gezwungen werden, zu Hause Hausaufgaben zu erledigen. Den einen wird kontinuierlich geholfen, die anderen hingegen können sich ohne Hilfestellungen der Eltern keinen Wissenszuwachs erarbeiten und werden zusätzlich für fehlende oder falsch gelöste Aufgaben bestraft. Das Ergebnis der Studie lautet: Verstehen Kinder im Unterricht den Schulstoff nicht, so werden sie dies auch durch die Lernaufgaben zu Hause nicht leisten.

Vermutlich können dies auch viele heutige Schüler und auch Erwachsene in Erinnerung an ihrer Schulzeit bestätigen.

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Schüler sprechen sich gegen Hausaufgaben aus

So wenig Studien es gibt, so viel mehr Praxisbeispiele gibt es für die Schule ohne Hausaufgaben. Die Inverlochy Primary School in den schottischen Highlands beispielsweise hat demokratisch beschlossen, diese heimischen Zusatzaufgaben abzuschaffen: Dafür stimmten 80 % der Schüler.

Die Bildungsschere geht weiter auf

Ganz offensichtlich ist auch: Hausaufgaben verschärfen die soziale Schieflage zwischen den Schülern. Sozial schwache und bildungsferne Haushalte bieten den Kindern keine Unterstützung bei den Hausaufgaben, wohingegend Kinder aus sozial- und bildungsstarken Haushalten Hilfe erfahren und die Erledigung der Hausaufgaben meist auch gewährleisten können.

Beeinflussung der Familiendynamik und -zeit

Ein weiterer Nachteil von Hausaufgaben liegt darin, Erledigungs- und Lerndruck in die Haushalte zu tragen. Denn selten schaffen Kinder allein und selbstständig ihre Hausaufgaben. Aber auch in diesen seltenen Fällen muss die Hausaufgabenzeit innerhalb der Nachmittags- und Abendzeit der ganzen Familien koordiniert und eingeplant werden. Hausaufgaben sind somit nicht nur eine Aufgabe für den Schüler, sondern sie werden sogleich zur Familienaufgabe – mehr noch: Sie sind Teil des Familienlebens. Aber warum soll eine schulische Aufgabe von Kindern, die ohnehin durch die Schulpflicht bis zu 9 Stunden im Schulgebäude verharren müssen, auf die eng bemessene, von vielen Mitgliedern und unzähligen anderen Tätigkeiten bestimmte familiäre Zeit ausgedehnt werden? Hans-Peter Vogeler, der damalige Vorsitzende des Bundeselternrates, bezeichnete Hausaufgaben 2013 auf der Bildungsmesse Didacta als „Hausfriedensbruch“.

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Zunahme innerfamiliärer Krisen

Des Weiteren sind häufig die Eltern in der Rolle jener, die Kinder zu den Hausaufgaben anhalten müssen, die alle schulischen Aufgaben und ihre korrekte Erledigung im Blick haben. Doch Eltern sind keine Pädagogen und ihre Rolle ist komplex und auf andere Bedürfnisse und Belange der Kinder ausgerichtet, als die Hausaufgaben zu begutachten. Dies führt zu Konflikten innerhalb der Familie, zu Krisen und Druck, der nicht in der sensiblen und lebenslangen Eltern-Kind-Beziehung gehört.

Freizeit und Hobbys leiden

Nach einer Studie der OECD aus dem Jahre 2012 verbringen deutsche Schüler 4,7 Stunden pro Woche mit Hausaufgaben. Dies bedeutet späte Arbeit am Abend und somit weniger Zeit für die Freizeit für die Oberschüler, die meist bis in die Nachmittagszeit in der Schule sind.

Vorteile bei freiwilliger Arbeit

Ganz anders wirkt sich freiwillige zusätzliche schulische Arbeit aus. Jene Kinder, die aus eigenem Antrieb zu Hause üben oder sich weiterbilden, profitieren von Hausaufgaben.

Hierbei ist der Druck gering, die Motivation hingegen sehr stark – optimale Voraussetzungen für die positiven Auswirkungen von Hausaufgaben.

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Vorteile bei Lieblingsfächern und Wahlaufgaben

Auch ist es von Vorteil, wenn die Schüler freiwillige Aufgaben aus ihren Lieblingsfächern mitnehmen. Dabei bekommen die Hausaufgaben einen Freizeitwert, werden zum „Hobby“ oder zur begehrten Beschäftigung. Hierbei sind vor allem Experimente geeignet, kleine Alltagsstudien oder witzige Umfragen. Teamarbeit wertet diese Art von Hausaufgaben auf.

Für Wahlaufgaben geeigent sind vor allem:

  • Umfragen zum Umfeld des Kindes (Bsp.: Was essen Familie und Freunde?)
  • witzige Experimente (Bsp.: Wer entwickelt die beste Seifenblasenflüssigkeit?)
  • lustige Rechen- oder Leseaufgaben (Bsp.: Witze lesen und mit der Klasse teilen, Rechenaufgaben für die anderen Kinder kreieren)

Bildquellen

  • Pexels @ Andrea Piacquadio
  • Pixabay @ Steve Johnson
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  • Pixabay @ Anita S.
  • Pixabay @ Ashish Choudhary
  • Pixabay @ StockSnap

Quellen

  • https://de.wikipedia.org/wiki/Hausaufgaben_in_Deutschland
  • https://www.stern.de/familie/kinder/deutscher-schulpreis-bestaetigt–schafft-die-hausaufgaben-ab–6292684.html
  • https://www.spiegel.de/lebenundlernen/schule/hausaufgaben-das-ist-hausfriedensbruch-a-1062094.html
  • https://deutsches-schulportal.de/schule-im-umfeld/diese-schulen-haben-hausaufgaben-abgeschafft/
  • https://deutsches-schulportal.de/bildungswesen/forschung-sind-hausaufgaben-noch-notwendig-oder-laengst-ueberholt/
  • https://www.lehrer-news.de/blog-posts/mehrarbeit-mit-mehrwert-wie-hausaufgaben-zur-sinnvollen-lerngelegenheit-werden?gclid=EAIaIQobChMIwYzXn7C2gAMVppqDBx3TIAE-EAAYAyAAEgLGovD_BwE
  • https://www.zeit.de/gesellschaft/schule/2022-09/grundschule-hausaufgaben-schueler-lernerfolg-frustration?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.zeit.de%2Fzustimmung%3Furl%3Dhttps%253A%252F%252Fwww.zeit.de%252Fgesellschaft%252Fschule%252F2022-09%252Fgrundschule-hausaufgaben-schueler-lernerfolg-frustration
  • https://www.betzold.de/blog/schule-im-mittelalter/
  • https://www.gew-berlin.de/fileadmin/media/publikationen/be/Schule/Schulrecht-Infos/SG15.pdf
  • https://www.focus.de/familie/schule/haben-keine-wissenschaftliche-grundlage-mehr-stress-als-nutzen-warum-hausaufgaben-keinen-positiven-effekt-auf-die-schulleistung-haben_id_13097655.html
  • https://www.spiegel.de/lebenundlernen/schule/grundschule-in-schottland-schueler-und-eltern-schaffen-hausaufgaben-ab-a-1120249.html
  • https://www.deutschlandfunk.de/bildung-die-wissenschaft-ist-eindeutig-hausaufgaben-sind-100.html
  • https://www.lernstudio-wattenscheid.de/lerntipps/294-sollten-hausaufgaben-abgeschafft-werden.html
  • https://www.wr.de/kids/immer-mehr-schulen-schaffen-hausaufgaben-ab-id228618955.html

2 Kommentare zu “Keine Hausaufgaben?! Geht das?”

    1. Guten Tag liebe*r Leser*in,
      in der Tat leiden ein Großteil der Schüler und Eltern unter der alltäglichen Last der Hausaufgaben. Einige Schulen haben im Bereich der Grundschule keine Hausaufgaben, für die Oberschule ist es leider sehr selten. Freie Schulen geben in der Regel keine Hausaufgaben auf, diese Schulen sind jedoch selten und dementsprechend ist der Bewerberandrang hoch. Es ist dennoch zunehmend ein Zeitenwandel festzustellen.
      Viele Grüße aus Berlin
      Ihr Team von Spielundlern.de

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