Vorurteilsbewusste Pädagogik: für Diversität und Respekt

Vorurteilsbewusste Pädagogik - SpielundLern.de

Vorurteilsbewusste Bildung

Vorurteilsbewusste Pädagogik in Bildungseinrichtungen ist ein pädagogischer Ansatz, der dem amerikanischen pädagogischen Konzept der Anti-Bios-Education folgt. Er basiert auf den Situationsansatz und konkretisiert diesen, indem er den Fokus auf Diversität und Anti-Diskriminierung legt. Er umfasst u.a. Methoden der Identitätsstärkung, sowie der kritischen Intervention und des Hinterfragens von Vorurteilen oder falschen Annahmen in der Erziehung und Begleitung von Kindern und Jugendlichen. Ferne beinhaltet vorurteilsbewusste Bildung die Sichtbarmachung und Stärkung der unterschiedlichen Identitäten und Lebenswirklichkeiten von Kindern, die Aspekte von Diversität darstellen.

Situationsansatz

Das Konzept des Situationsansatzes zielt darauf ab, Kindern aus verschiedenen sozialen und kulturellen Zusammenhängen zu helfen, ihre eigene Umwelt und Lebenswirklichkeit zu begreifen und eigenständig und verantwortungsbewusst zu formen. Der Situationsansatz bestimmt die mannigfaltigen und gegensätzlichen Erfahrungen der Kinder als wichtigen Kern der Lern- und Bildungsinhalte.

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Anti-Bios-Education

Der Anti-Bios-Konzept ist ein diskriminierungs- und machtkritisches Praxiskonzept, das in den 1980er Jahren in den USA entwickelt wurde und Ende der 1990er Jahre nach Deutschland gelangte. Es stellt die Grundlage der vorurteilsbewussten Bildung und Erziehung dar. Die Bezeichnung dieses Konzeptes besteht aus der Wortgruppe „anti“, das „gegen“ bedeutet, und „bias“, das mit „Voreingenommenheit“ übersetzt werden kann.

Methodik

Vorurteilsbewusste Bildung und Erziehung geht davon aus, dass bereits sehr junge Kinder Vorurteile aus den Ursprungsfamilien übernehmen – sie greifen von den Ursprungsfamilien und dem Umfeld auf die Lebenswirklichkeit und Lebensverständnis der Kinder über. Des Weiteren erschließen sich junge Menschen häufig selbst die Welt über Stereotype oder vereinfachte Beobachtungen, die nicht selten in Vorurteilen münden. Vorurteile, die nicht thematisiert und besprochen werden, können über Generationen weitergegeben und gefestigt werden.

Die kritische Intervention erfolgt auf kindgerechte, diskussionsfördernde und sensible Art und Weise beispielsweise durch:

  • Rückfragen
  • Rollenspiele
  • Empathieübungen
  • in Bezug setzen zum Alltagserleben der Kinder
  • Familien und Lebenswirklichkeiten sichtbar machen (bspw. als Pinnwände) u.a.

Der Fokus liegt auf allen Ebenen, auf denen sich Voreingenommenheit, Vorurteile oder Diskriminierungen zeigen können:

  • Geschlecht
  • Sexualität
  • Hautfarbe/Herkunft
  • Religion
  • sozialer Status
  • körperliche Fähigkeiten.
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Ziele

Vorurteilsbewusste Bildung hat im Fokus, Vorurteile, Diskriminierung oder Stereotype in Verhalten oder der Sprache von Kindern und Jugendlichen zu erkennen, sichtbar zu machen und bewusst zu thematisieren. Junge Menschen werden auf diese Weise sensibilisiert, über Gerechtigkeit, verletzende Worte und Empathie nachzudenken und sich dafür einzusetzen, damit eine inklusive Vielfalt und ein respektvolles Miteinander trotz Unterschiede gefestigt werden kann.

Die vorurteilsbewusste Pädagogik hat vier deklarierte Zielsetzungen:

  • Identität stärken, indem Erzieher und Lehrer die Andersartigkeit und Unterschiedlichkeit der Kinder wahren, schätzen und respektieren.
  • Vielfalt zeigen, indem die Kinder unterschiedlichen Menschen, Lebensweisen, kulturellen und Glaubenskonzepten offen und neugierig begegnen können.
  • Kritisches Denken fördern durch Empathie, Perspektivwechsel und Rückfragen, wobei die Kinder lernen, objektive Fakten und Meinungen, fair und unfair auseinanderzuhalten.
  • Aktiv werden, wobei pädagogische Kräfte die Kinder ermächtigen, sich gegen Ungerechtigkeiten zu wehren und sich für andere einzusetzen.

Arbeitsweise

Die vorurteilsbewusste Bildung und Erziehung passiert durchweg über den Alltag verteilt, die Interventionen bestehen häufig aus kurzen Rückfragen oder dem Hinterfragen von Aussagen der Kinder oder der Jugendlichen als Einwürfe und Gesprächsgrundlage im täglichen Miteinander. Die Interventionen erfolgen unmittelbar zu den Aussagen oder Handlung eines Kindes und können gleich hinterfragt, besprochen und differenziert werden. Problematischere Verhaltensweisen oder sich wiederholende Vorurteile können auch intensiv in längeren Rollenspielen, Diskussionsrunden sowie themengebundenen Projekten erfolgen.

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Dabei geht es stets darum, in Verbindung zu kommen, vertrauensvolle Austauschmöglichkeiten zu schaffen, ohne Schuldzuweisungen, Verbote oder Verurteilungen. Der Blick der Fachkräfte geht bei Diskriminierungen und Vorverurteilungen immer zuerst zum angegriffenen Kind, indem Verbindung und Verständnis zugesprochen sowie Gefühle verbalisiert werden. Anschließend eröffnen sie für das verurteilende Gegenüber (und der Gruppe) ein Feld kritischer Gegenfragen, um den Blick auf andere Sichtweisen im freundlichen Austausch zu ermöglichen.

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Hören Set A-Sinneswand, drei Wandspiele mit hohem Aufforderungscharakter

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Fachkräfte als Aktivator

Die pädagogischen Fachkräfte spielen in der vorurteilsbewussten Bildung und Erziehung eine Schlüsselrolle. Sie filtern problematische Aussagen oder Handlungen, stoßen Gespräche an und begleiten die Kinder. Sie sind diejenigen, deren Aufgabe es ist, im Falle von Vorurteilen oder Stereotypen aufzuhorchen und adäquat zu reagieren – die fraglichen Ausdrücke oder Handlungen erst sichtbar zu machen und zu problematisieren.

In einer Art schwebender Aufmerksamkeit nehmen sie Stimmungen, Handlungen oder Wortfetzen auf und schalten sich sensibel mittels Rückfragen oder Impulsen ein. „Frauen können nicht Fußball spielen“ oder „Peter tanzt, er ist ja ein Mädchen!“ sollten umgehend aufgegriffen und hinterfragt werden. „Sind alle männlichen Fußballer immer gute Fußballer? Gibt es auch Frauen, die Fußball spielen?“ und „Welche Tänze kennt ihr, die von Männern getanzt werden?“ oder „Habt ihr schon mal Männer und Frauen zusammen tanzen gesehen?“

Selbstreflexion

Die Umsetzung vorurteilsbewusster Pädagogik erfordert eine aktive Auseinandersetzung mit den eigenen Vorurteilen und denen in der Gesellschaft. Pädagogen und Pädagoginnen sind dabei aufgerufen, sich ihrer eigenen Vorurteile bewusst zu werden und diese zu hinterfragen und zu bearbeiten. Dies ist ein kontinuierlicher Prozess, der Offenheit und die Bereitschaft zur Selbstkritik erfordert.

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Lehrpläne und Projekte gestalten

Lehrinhalte, Materialien sowie Projektthemen sollen Vielfalt widerspiegeln und allen Schülern die Möglichkeit geben, sich mit ihrer eigenen Identität entdeckend und positiv auseinanderzusetzen. Dabei soll eine breite Palette von Perspektiven und Lebenswirklichkeiten in Erscheinung treten, hingegen mono-kulturelle oder stereotypische Darstellungen vermieden werden.

Dialog und Einfühlungsvermögen

Vorurteilsbewusste Pädagogik legt einen starken Fokus auf den Austausch und die Akzeptanz unterschiedlicher Perspektiven. Durch gezielte Übungen und Diskussionen lernen Kinder und Jugendliche, sich in andere hineinzuversetzen und Respekt für unterschiedliche Lebenswege zu entwickeln.

Intervention

Die vorurteilsbewusste Intervention durch Pädagogen in Kita und Schule kann nur stattfinden in einem Klima, in dem sich alle Kinder und Jugendlichen wertgeschätzt und verstanden fühlen. Dies ist die Voraussetzung, um mit Kindern über Unterschiede und Vorurteile ins Gespräch zu kommen. So kann eine vorurteilsbewusste Pädagogik dazu beitragen, Vorurteile und Klischees sowie die daraus resultierenden Ausgrenzungen abzubauen.

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Einfluss und Folgen

Die Anwendung vorurteilsbewusster Pädagogik ist ein dynamischer Prozess, der eine ständige Auseinandersetzung mit sich wandelnden gesellschaftlichen Normen und Werten erfordert. Durch ihre Implementierung in Kindergärten, Schulen und anderen Bildungseinrichtungen kann ein wichtiger Beitrag zur Förderung von Gleichberechtigung und sozialer Gerechtigkeit geleistet werden. Vorurteilsbewusste Pädagogik ist somit ein umfassender Ansatz, der auf den Aufbau einer inklusiven Gesellschaft abzielt.

Ferner hat eine solche Pädagogik Einfluss auf den späteren Bildungsweg junger Menschen und zeigt sich in der Studien- oder Berufswahl, die sie später treffen. Vorurteilsbewusste Bildung kann dazu beitragen, berufsbezogene Geschlechterstereotype zu hinterfragen, sodass in der Folge für die Berufswahl weniger das Geschlecht oder die Kulturzugehörigkeit, sondern vielmehr Interessen und Fähigkeiten ausschlaggebend sind.

Bildquellen

  • Pexels @ Shvets Production, Pexels @ Tara Winstead
  • Pexels @ Roberto Hund
  • Unsplash @ Kseniia Samoylenko
  • Unsplash @ Eric Prouzet, Unsplash @ Clay Banks

Quellen

  • https://de.wikipedia.org/wiki/Situationsansatz
  • https://situationsansatz.de/ista-ueber-uns/konzept-situationsansatz/
  • https://www.ganztag-nrw.de/fileadmin/Dateien/Dokumente/Dokumentationen/Interkulturell_und_vielfaeltig_6.10.2016/Forum_1/wie_vielfalt_schule_machen_kann_skms2011_handreichung
  • https://www.kita.de/wissen/anti-bias-ansatz/
  • https://www.aok.de/pk/magazin/familie/eltern/so-funktioniert-eine-vorurteilsbewusste-erziehung/
  • https://praxistipps.focus.de/vorurteilsbewusste-erziehung-das-sollten-sie-wissen_137097
  • https://www.kita-fachtexte.de/fileadmin/Redaktion/Publikationen/KiTaFT_richterII_2014-End.pdf

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