Aktualisiert am 15. Juli 2025
Dr. Dina Beneken hat Chemie studiert und promoviert. Sie ist u.a. zertifizierte integrative Lerntherapeutin und Dyskalkulie- & Legasthenietrainerin.

„Meine Leidenschaft ist Lernen mit Spielen. Nicht mit schnöden Lernspielen (ok, auch da gibt es manchmal Perlen unter den Graupen), sondern mit Regelspielen. Warum? Weil Regelspiele für Spielspaß konzipiert sind. Sie haben einen Aufforderungscharakter, sie laden ein, sie zu nutzen, sie haben einen Spaßfaktor und sie haben nicht das Thema „Schule“. Denn leider ist „Schule“ und „Lernen“ bei vielen Kindern negativ besetzt.
Das Spiel ist ein natürlicher Lernweg. Wir lernen von Anfang an im Spiel und nur, weil da jetzt plötzlich „Ernst des Lebens“ darüber stehen soll, ist der Schuleintritt beileibe kein Grund, damit aufzuhören.
Echte Inklusion ist mir ein Herzensanliegen. Es ist mir wichtig, Eltern auf diesem Weg mit ihren Kindern zu unterstützen: mit alternativen Lernwegen und -pfaden, denn Aufgeben ist keine Option. Ich möchte das sehen, was Kinder schon können und dort ansetzen, damit Entwicklung möglich ist.“
Dr. Dina Beneken bietet Ihre Online-Seminare und Beratungen auf Ihrer Homepage: https://lerntherapie-beneken.de.
Inhaltsverzeichnis
Grundlagen
Wo hat Auswendiglernen heute noch seine Berechtigung – und wo stößt es an Grenzen, sobald nachhaltiges, vernetztes Lernen gefragt ist?
Auswendiglernen ist prinzipiell nichts Schlechtes – sondern sogar etwas sehr Positives. Oft, wenn wir einen „Autopiloten“ brauchen, hilft es, wenn wir Dinge auswendig können: Gedichte aufsagen und dabei auf das Publikum achten, betont sprechen und dabei herumlaufen können beispielsweise. Dann dient das vorher Auswendiglernen natürlich dem Vortrag, weil man sich auf eine Sache weniger konzentrieren muss. Etwas auswendig abrufen zu können, ist also immer ein Zeitfaktor, der einem geschenkt wird. In einem Notfall müssen Abläufe ebenfalls automatisiert und auswendig gelernt abgespult werden können.
Die Grenze ist generell die Frage, ob reines Auswendiglernen ausreichend ist, um mit dem abgespeicherten Wissen etwas anfangen zu können.
In der Schule findet man diese Grenze oft gut beim zu früh auswendig gelernten Einmaleins. Wenn ein Kind das einfach stur „paukt“, kann es die Reihen oder die Ergebnisse wiedergeben, scheitert aber an der Umsetzung. So kann es passieren, dass das Ergebnis von 5*7 sofort gewusst wird, aber die Frage: „Du hast 5 Tüten mit jeweils 7 Murmeln. Wie viele Murmeln hast Du insgesamt?“ nicht beantwortet werden kann, weil das Verständnis für die Mathematik hinter der Multiplikation nicht vorhanden ist.
Für nachhaltiges, vernetztes Lernen benötigt man immer ein grundlegendes Verständnis. Bei Zahlen, Daten, Fakten – Dinge, die immer noch häufig in der Schule für Tests gelernt werden müssen – ist das Verständnis (leider) immer noch zweitrangig und es geht um stures Auswendiglernen mit wenig Sinn. Deswegen ist es auch so langweilig und öde.
Grundsätzlich hat Auswendiglernen natürlich einen Sinn: Es trainiert das Gedächtnis und die Merkfähigkeit; zusätzlich entlastet es uns bei vielen Aufgaben.

Worin liegt der Unterschied zwischen sinnvollem „Feuerlöschlernen“ (kurzfristiges Pauken) und tiefem Verständnislernen, das Wissen dauerhaft verankert?
Oft wird „etwas aus dem Rückenmark können“ gleichgesetzt mit „das kann ich auswendig“. Ich möchte den Begriff gerne noch ein wenig weiter differenzieren. Für mich ist „Auswendiglernen“ das Verinnerlichen von Wissen. Dinge, die man zwar nachlesen kann, aber für einen kurzen Zeitraum schnell abrufen können sollte.
Das Einmaleins dagegen sollte man in vielen Berufen und vor allem in der Schule 😊 automatisiert abrufen können, denn Kopfrechnen ist eine grundlegende mathematische Kompetenz. Ohne diese Automatisierung ist es schwer, Ergebnisse auf Korrektheit zu prüfen, Überschläge zu machen und eine gewisse Grundgeschwindigkeit beim Rechnen zu erreichen.
Automatisierte Inhalte sind verstandene Inhalte, so oft angewendet, dass es zur Routine wird. Nachdem das Kind die obige Aufgabe mit den Murmeln gelesen und verstanden hat, kann es die Rechnung hinschreiben und weiß sofort, dass es 35 Murmeln zur Verfügung hat, anstatt mühsam 7+7+7+7+7 zu rechnen. Wir unterscheiden also zwischen „nur auswendig gelernt“ und „automatisiert und verstanden“.

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Wie wirkt sich Auswendiglernen auf die Gedächtnisleistung und das langfristige Behalten von Wissen aus?
Das, was allgemein als „Bulimie-Lernen“ bezeichnet wird (ich finde den Begriff „Feuerlöschlernen“ griffiger), führt meist zu einem schnellen Verlust des Gelernten. Warum? Weil es nicht wieder gebraucht wird. Wir löschen ein Feuer, indem wir das Wissen im Prüfungsbogen hübsch verteilen; danach verdampft es und wir brauchen es nie wieder.
Nachhaltig Gelerntes dagegen wird immer wieder an die Oberfläche geholt, neu vernetzt und aktiv angewendet – damit bleibt es automatisch verfügbar. Wir können es „auswendig“ – aber in Wirklichkeit haben wir verstanden, angewendet und wissen genau, was wir tun. Viel wertvoller für das echte Leben als das, was man überall einfach nachlesen kann, wenn man es benötigt.
Besondere Bedürfnisse & Herausforderungen
Gibt es bestimmte Lerntypen oder Kinder mit besonderen Förderbedarfen, für die Auswendiglernen besonders herausfordernd ist? Welche alternativen Zugänge erleichtern das nachhaltige Lernen?
Hier ist es an der Zeit, den Mythos der Lerntypen zu erwähnen: der ist wissenschaftlich schon lange widerlegt. Tatsache ist: Alle Menschen profitieren von vielfältiger Aufbereitung der Inhalte.
In der Gruppe von Kindern mit besonderem Förderbedarf unter dem Aspekt, wie leicht oder schwer das Auswendiglernen fällt, gibt es beide Seiten:
Wenn Kinder mit besonderem Förderbedarf zusätzlich Probleme mit dem Gedächtnis haben, ist das Auswendiglernen naturgemäß eine besondere Herausforderung. Probleme in der Merkfähigkeit können bei allen Förderbedarfen (Legasthenie, Dyskalkulie, ADHS) zusätzlich auftreten und das Lernen erschweren.

Um eine mehrschrittige Rechnung durchzuführen, muss man sich Zwischenergebnisse merken können. Um Fragen zu einem Text zu beantworten, muss man sich das Gelesene einprägen können. Das schulische Lernen setzt eine gewisse Grundgedächtnisleistung voraus. In diesen Fällen ist es umso wichtiger, den Kindern Lerntechniken und -methoden zu vermitteln, mit denen sie möglichst viel Last aus dem Arbeitsgedächtnis nehmen können, um ihre vorhandene Kapazität für die wirklich wichtigen Themen voll ausschöpfen zu können
Nicht alle Kinder mit Legasthenie und Dyskalkulie haben Schwierigkeiten mit dem Auswendiglernen an sich. Einige haben sogar ein extrem gutes Gedächtnis und sie lernen sehr schnell auswendig. Das führt dann dazu, dass sie eher spät „entdeckt“ werden, weil sie ihr „Nicht-Verständnis“ durch Auswendiglernen oft lange kompensieren können.
Kinder mit Aufmerksamkeitsdefiziten haben meist ein Problem mit Auswendiglernen, weil monotone Wiederholungen nicht ihr Ding sind. Auch hier ist Abwechslung gefragt, um die notwendige Wiederholungsrate zu ermöglichen, und die Aufmerksamkeit zu erhalten oder erweitern.
Wie kann man vermeiden, dass Auswendiglernen zu Frust oder einer negativen Lernhaltung führt – gerade bei Kindern mit Lernstörungen wie LRS oder Rechenschwäche?
Indem man die Lerninhalte mit Sinn füllt. Das reine Auswendiglernen steht an letzter Stelle, wenn es denn überhaupt noch notwendig ist. An erster Stelle steht das Verständnis, die Handlung, das Be-greifen im wahrsten Sinne des Wortes.
Es ist super wichtig, dass Kinder mit LRS oder Rechenschwäche am richtigen Punkt üben. Meist haben sie den Anschluss an die Klasse verloren. Sie kommen im Unterricht nicht mehr mit. Die Texte sind zu lang, die Rechenaufgaben zu schwierig. Wie kann sich da der Sinn der Aufgaben für das Kind auftun? Das ständige Nicht-Können führt unweigerlich zu Frust und Enttäuschung. Alle können es – nur ich nicht? Kein gutes Gefühl.

Diesen Frust vermeidet man, indem man das Kind dort fördert, wo das Verständnis bei ihm aufhört. Nach einer pädagogischen Lernstandsanalyse weiß man, wo das Kind steht, und beginnt dann systematisch mit den Schritten, die zu gehen sind. Im Tempo des Kindes, mit Material und handelnd, unter Einsatz von Bewegung oder Spielen wird das Thema von allen Seiten immer wieder beleuchtet, bis das Aha-Erlebnis sein Übriges tut.
Ein weiterer wichtiger Faktor für Lernen ohne Frust ist natürlich Abwechslung und gelebte Freude, Humor, Spaß. Deswegen findet man in vielen Therapiepraxen Spiele. Sie ermöglichen zum einen eine entspannte Lernsituation, zum anderen viele kleine Erfolgserlebnisse und eine gezielte Automatisierung der Lerninhalte ohne das klassische schulische Arbeitsblattformat.
Welche Rolle spielen Emotionen und Motivation beim Lernen? Wie kann man hier unterstützend wirken?
Ein weiterer wichtiger Faktor für Lernen ohne Frust ist die Atmosphäre. Niemand lernt gerne unter Druck, mit Sorgen oder Wut im Bauch – oft verhindern diese Emotionen ein erfolgreiches Lernen. Es ist wichtig, die Grundbedürfnisse des Kindes vor dem Lernen zu erfüllen und für eine angenehme, entspannte Lernatmosphäre zu sorgen. Eine Lernkerze kann den Raum gemütlich machen und wie ein Ritual auf das Lernen einstimmen. Ausreichend Pausen anzubieten, ist eine Aufgabe der erwachsenen Lernbegleiter, da Kinder oft gar nicht merken, dass sie über ihre Grenzen gehen. Die Konzentrationsspanne von Kindern wird häufig massiv überschätzt. Nach einer Phase hoher Konzentration braucht der Geist Erholung. Auch das sollten die Kinder lernen dürfen – es ist wie beim Sport, ab und an braucht es eine Pause.
(So lange können sich Schulkinder im Durchschnitt konzentrieren)
- 5-7 Jahre: 15 Minuten
- 7-10 Jahre: 20 Minuten
- 10-12 Jahre: 25 Minuten
- 12-16 Jahre: 30 Minuten
Heutzutage wissen wir, dass positive Emotionen das Lernen zusätzlich unterstützen. Lacht, lebt, habt Freude beim Lernen! Nutzt Spiele, lasst es Euch gut gehen und verbindet das Lernen mit Dingen, die Euch Freude machen. Das ist der beste Weg, nachhaltig zu lernen.
Aktive Pausen im Schulalltag
Bewegungsausgleich und Rückenschonung durch gezielte Aktivierung

Tipps & Anwendung
Welche Strategien oder Techniken empfehlen Sie Lernenden, um Inhalte effizient und nachhaltig auswendig zu lernen?
Eselsbrücken sind gut, wenn man sie sich selbst ausdenkt, sie können aber auch nach hinten losgehen. Oder weißt Du noch, wer sich 333 bei einer Keilerei gekloppt hat, und warum überhaupt? Ich kenne noch heute die Eselsbrücke, die ich für den Geschichtstest genutzt habe. „DreiDreiDrei, bei Issos Keilerei“. Vermutlich war sie nützlich für die Frage, wann bei Issos eine Schlacht geführt wurde. Kurzfristig benötigtes Wissen, dass mir jetzt unnötig im Gehirn herumschwirrt (na, für diesen Beitrag hat es sich dann wieder gelohnt, haha).
Nachhaltiges Lernen funktioniert dagegen vernetzt. Ich empfehle immer, sich dem Thema möglichst ganzheitlich zu nähern. Zum Verständnis am besten die passende Handlung durchführen oder durchdenken.
In Mathematik legt man die Rechnungen mit Material, im Fach Deutsch kann man Geschichten mit Spielfiguren nachstellen. Alles, was die Vorstellungskraft aktiviert, unterstützt den Lernprozess.

Im zweiten Schritt wendet man das neue Wissen an. Auch hier ist das Handeln noch eine wichtige Komponente. In dieser Stufe ist es sehr leicht, mit Spielen zu üben und zu festigen. Wir gehen weg vom Material und hin zum Anwenden mit echten Aufgaben, die uns die Spiele stellen. So kann man mit Spielen wie „Geheimcode 13+4“ wunderbar die Grundrechenarten festigen, oder mit „Story cubes“ Geschichten erfinden. Sogar Gedächtnistechniken lassen sich mit Spielen wunderbar trainieren.
Die Königsdisziplin im nachhaltigen Lernen ist es dann, sich selbst Prüfungsfragen auszudenken und im Team zu besprechen. Wenn man über ein Thema frei sprechen kann, hat man es „gelernt“ 😊
Welche kreativen oder spielerischen Methoden aus der Lerntherapie lassen sich auch im regulären Schulunterricht einsetzen?
Lerntherapie ist in der Regel ein 1:1 Setting, aber auch in der Schule kann spielbasiertes Lernen stattfinden. So kann in der Freiarbeitszeit mit Spielen in Kleingruppen gearbeitet werden. Grundsätzlich werden mit Regelspielen immer die exekutiven Funktionen (Arbeitsgedächtnis, Impulskontrolle, kognitive Flexibilität) gefördert, was Regelspiele im Unterricht zu einem Förderinstrument für alle Kinder macht.
Das Handeln mit Material sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein, ist es aber leider in vielen Klassenzimmern nicht. In jedem Klassenzimmer sollten Klassensätze z.b. von Dienesmaterial zur Verfügung stehen. Für alle Kinder wäre das eine Chance und Prävention von Rechenschwäche gleichzeitig. Das ist wirklich leicht umsetzbar.
Kindern das Lernen in ihrem Tempo zu ermöglichen, lässt sich ebenfalls umsetzen, wenn man sich die Modellschulen anschaut. So ist es beispielsweise in der Alemannenschule Wutöschingen vollkommen normal, dass Kinder einen Test erst dann schreiben, wenn sie den Lernstoff dafür verinnerlicht haben.

Welche Empfehlungen haben Sie für Eltern, die ihr Kind beim Lernen zu Hause unterstützen möchten, ohne Druck auszuüben?
Die gute Nachricht: Es gibt keine Lernpolizei!
Bleib Du. Sei die Lernbegleitung für Dein Kind, die Du gerne gehabt hättest. Macht es Euch schön. Du bist nicht der verlängerte Arm der Schule.
Sorge für ausreichend Pausen. Spätestens nach 30 Minuten Beine hoch!
Guter Anfang, gutes Ende. Beginne freundlich und ende positiv. Hier eignen sich kurze Lieblingsspiele ideal. Wie wäre es mit einer Runde Uno-Flip am Ende?
Weg mit dem Arbeitsblatt, hin zum Spiel, aufs Trampolin oder in den Wald. Abfragen kann man überall.
Verknüpfen mit Bewegung, Rhythmus und Ton: Gedichte lernt man gut auswendig, wenn man dabei mit der Sprache spielt. Tragt das Gedicht vor wie ein Huhn oder wie ein Löwe. Jede Wiederholung ein anderes Tier. Macht doch gleich mehr Spaß.
Bildquellen
- Autorenbild @ Dr. Benenken
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Quellen
- Interview mit Frau Dr. Benenken, geführt vom Redaktionsteam SpielundLern
- LinkedIn https://www.linkedin.com/in/dr-dina-beneken/
- Instagram https://www.instagram.com/lerntherapie_beneken/
- YouTube https://www.youtube.com/dinaBeneken
- Web https://lernraeume-beneken.online/
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