LRS Förderung und Legasthenie erkennen – von der Grundschule bis in den Beruf

Leichte Formen der Lese-Rechtschreib-Störung lassen sich mit guter und gezielter LRS Förderung im schulischen Unterricht, mit geeigneten Fördermaterialien oder mit Nachhilfeunterricht bis zum Ende der 6. Klasse abbauen. Bei stärkeren Störungen sind eine gezielte Diagnostik, Förderung und Nachteilsausgleiche der Behinderung in der Schule erforderlich. Nach der europäischen und deutschen Gesetzgebung darf niemand wegen seiner Behinderung in Beruf und Lebensentfaltung benachteiligt werden. Die Schulen verstoßen gegen das Grundgesetz, wenn sie Schülerinnen und Schüler mit Teilleistungsstörungen wie Legasthenie keinen begabungsgerechten Schulabschluss erlauben, weil auf ihr Handicap keine Rücksicht genommen wird.

Was bedeuten Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten (LRS) und Legasthenie?

Alle Kinder, die Lesen und Schreiben lernen, machen dabei Fehler. Etwa 10% der Schüler fällt das Lesen und Schreiben lernen allerdings besonders schwer. Die Verwechslung von Lauten hält über die erste Klasse hinaus an, Buchstaben werden vertauscht oder weggelassen und Wörter verstümmelt, das Lesen wird nur unwillig aufgenommen. Diese Kinder haben eine umschriebene Störung im Lesen und Schreiben lernen bei sonst normaler Intelligenz. Der Überbegriff ist Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten (LRS), die Abkürzung LRS passt aber auch auf Lese-Rechtschreibschwäche oder Lese-Rechtschreib-Störung. Ein Sonderbegriff ist die Legasthenie als diagnostischer Fachbegriff für eine umschriebene Störung im Erlernen der Schriftsprache. Als Ursache der Legasthenie werden Entwicklungsstörungen in Teilfunktionen des zentralen Nervensystems angenommen. Die LRS als allgemeiner Oberbegriff kann auch andere Störungen in der Entwicklung umfassen.

Leichte Formen der Lese-Rechtschreib-Störung (insbesondere wenn sie andere Ursachen wie z.B. versäumter Schulunterricht durch längere Krankheit haben) lassen sich mit guter und gezielter LRS Förderung im schulischen Unterricht, mit geeigneten Fördermaterialien oder mit Nachhilfeunterricht bis zum Ende der 6. Klasse abbauen. Bei stärkeren Störungen sind eine gezielte Diagnostik, Förderung und Nachteilsausgleiche der Behinderung in der Schule erforderlich.

Ein hilfreicher Überblick zu Legasthenie und LRS und Literaturhinweise finden sich online zum Beispiel im Familienhandbuch des Staatsinstituts für Frühpädagogik.

Wie werden Lese- und Rechtschreibschwierigkeiten erkannt ?

Wenn Sie spätestens in der 2. Schulklasse erkennen, dass Ihr Kind hinter den Lese- und Schreibfähigkeiten seiner Mitschüler zurückbleibt, sollten Sie den Klassenlehrer Ihres Kindes darauf ansprechen, falls dieser nicht schon von sich aus bereits Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten festgestellt und eine gezielte LRS Förderung im Unterricht eingeleitet hat.

Grundsätzlich verfügen die Lehrerinnen und Lehrer der Grundschule über die zur Durchführung einer LRS-Diagnostik erforderlichen Kenntnisse. Allerdings können Sie sich leider nicht immer darauf verlassen, bei den Lehrkräften sind Kenntnisse zu LRS und die Bereitschaft, damit konstruktiv und förderlich umzugehen, unterschiedlich ausgeprägt. Die Analyse soll der Lehrer in erster Linie auf die Reflexion seines Unterricht und die kontinuierliche Beobachtung der Schülerin und des Schülers stützen. Die Lehrerin oder der Lehrer kann sich durch eine in der LRS Förderung besonders erfahrene Lehrkraft beraten lassen, mindestens eine entsprechend geschulte Lehrkraft pro Schule soll es nach den Richtlinien der Schulbehörden geben. Auch Schulpsychologen kennen sich in der Regel gut mit der LRS-Diagnose aus. Die Erfahrungen vieler Eltern zeigen, dass man sich als Eltern aber nicht blind auf die Schule bzw. die Schulbehörde verlassen darf. LRS-Förderung kostet personellen Mehraufwand, und viele Schulen sind froh, wenn sie angesichts von Personaleinsparungen und langfristigen Ausfällen die normalen Anforderungen aus dem Schulbetrieb halbwegs leisten können.

Alle Bundesländer haben sogenannte LRS-Erlasse, in denen die Förderung von Leserechtschreibschwierigkeiten geregelt ist. Wie bei anderen Schulthemen auch, ist die Förderung allerdings von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich geregelt.

Zur Feststellung einer LRS werden verschiedene Testverfahren eingesetzt. Standardmäßig gehört zur LRS-Diagnostik ein standardisierter Rechtschreibtest, individuell unterschiedlich schließen sich weitere Tests zur Wahrnehmungsfähigkeit, zum Hör- und Lesevermögen, zur Konzentrationsfähigkeit und zur Intelligenz an.

Die Diagnose einer LRS wird gestellt, wenn das Lesen und Schreiben deutlich unterdurchschnittlich ist. Dies wird meist in Form eines “Prozentrangs” (PR) dargestellt. Ein PR von 15 bedeutet, dass 15 % der Testkandidaten gleich oder schlechter und dass 85 % besser im Test waren.

Erzielt eine Schülerin oder ein Schüler in einem Lese- oder Rechtschreibtest einen Prozentrang von PR=15 oder weniger, so gilt dies klar als unterdurchschnittlich und es liegen förderungsbedürftige Lese- oder Rechtschreib-Schwierigkeiten (LRS) vor. Schwieriger sind PR um 35 zu bewerten, also eine Leistung im unteren Drittel. Auch muss der Prozentrang noch in Relation zu der Intelligenz gesetzt werden, bei einem sehr intelligenten Kind kann bereits ein höherer Prozentrang eine behandlungsbedürftige Störung aufzeigen, weil das Kind über seine ansonsten hohe Auffassungsgabe einen Teil der Leistungsschwäche in der Diagnostik kompensiert, aber trotzdem hinter seinen individuellen Möglichkeiten weit zurück bleibt.

Damit die Schulleitung das Testergebnis anerkennt, sollte der Test von ihr veranlasst werden. Wenn sich Ihre Schule weigert, einen solchen Test bei Ihrem Kind durchzuführen, sollten Sie zunächst den Schulpsychologischen Dienst, die öffentlichen Erziehungsberatungsstellen oder schulpsychiatrische Einrichtungen aufsuchen, denn auch dann wäre der Test durch die Behörde veranlasst. Gutachten, die nicht durch die Behörde veranlasst sind, haben zunächst keine unmittelbare Bindungswirkung für Schulleitung und Behörde, auch wenn es sich um anerkannte Spezialisten z.B. der Universität handelt.

LRS Förderung und Nachteilsausgleich in der Schule

Die Lehrerinnen und Lehrer, die das Fach Deutsch unterrichten, stellen nach den oben bereits angesprochenen Kriterien fest, für welche Schülerinnen und Schüler zusätzliche Fördermaßnahmen notwendig sind. Dies kann auch auf Ihren Eltern-Antrag hin geschehen.  Klassenkonferenz und Schulleitung entscheiden dann über die Teilnahme Ihres Kindes an einem entsprechenden Förderkurs in der Schule.

Für Schülerinnen und Schüler, die eine solche zusätzliche Förderung benötigen und bei denen LRS förmlich festgestellt wurde, gilt für die Klassen 3 bis 6 und (je nach Bundesland unterschiedlich gehandhabt) auch für die Klassen 7 bis 9 oder 10, dass bei schriftlichen Arbeiten die Lehrerin oder der Lehrer im Einzelfall eine andere Aufgabe stellen, mehr Zeit einräumen oder von der Benotung der Rechtschreibung absehen kann. Bei Entscheidungen über die Versetzung oder die Vergabe von Abschlüssen dürfen die Leistungen im Lesen und Rechtschreiben nicht den Ausschlag geben. Besondere Schwierigkeiten im Rechtschreiben allein sind kein Grund, eine Schülerin oder einen Schüler für den Übergang in die Realschule oder das Gymnasium bei sonst angemessener Gesamtleistung als nicht geeignet zu beurteilen.

Bei Schülern mit einer förmlich festgestellten Lese-Rechtschreibschwäche (Legasthenie) ist bis einschließlich Klassenstufe 7, auf Antrag der Eltern auch in den Klassenstufen 8 bis 10, zusätzlich im Zeugnis zu vermerken: „Bei … wurde eine  Lese-Rechtschreibschwäche (Legasthenie) förmlich festgestellt.“ Dies soll bei den älteren Kindern nur auf Antrag geschehen, weil es ansonsten eigentlich den Nachteilsausgleich konterkariert.

LRS Förderung außerhalb der Schule

Sofern die Förderung von Kindern mit LRS bzw. Legasthenie in der Schule, die meist als Gruppenförderunterricht erfolgt, als nicht ausreichend erscheint, wird die Lehrkraft im Idealfall die Eltern auf geeignete außerschulische individuelle Förder- und Therapiemöglichkeiten hinweisen (z. B. Schulspychologische Beratungsstellen, motorische oder Sprachtherapien, Erziehungsberatungsstellen). Im weniger idealen Fall werden Sie sich als Eltern selbst solche ergänzenden Beratungsmöglichkeiten suchen müssen. In jedem Fall sollten schulische Förderung und außerschulische Maßnahmen miteinander abgestimmt werden.

Es gibt eine große Zahl privater Anbieter in Praxen oder Instituten zur LRS Förderung und Behandlung von Kindern mit einer LRS oder Legasthenie. Dabei stellt sich angesichts der oft hohen Kosten die Frage, ob die dort tätigen Personen überhaupt für diese Tätigkeit qualifiziert sind. Dieser Bereich ist nicht geregelt, der Begriff „Therapeut“ ist nicht geschützt, es gibt keine verbindliche Ausbildungs- oder Weiterbildungsordnung für den Bereich Legasthenie. Der Bundesverband Legasthenie berät interessierte Eltern in seinen Elterngruppen zu geeigneten Therapeuten. Die Adressen der Elterngruppen erhalten Sie über die Landesverbände des BVL Legasthenie und Dyskalkulie e.V. Dort erhalten Sie auch Hinweise auf eine Förderung der außerschulischen Maßnahmen durch das Jugendamt oder andere Kostenträger. Solche Förderung ist im Einzelfall möglich, meist als Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche gem. § 35 a SGB VIII, sie schwankt aber nach der Kassenlage der jeweiligen Kostenträger und der Wahrnehmung der LRS im Zusammenhang anderer Förderthemen der Jugendämter.

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Bei Spielundlern.de finden Sie eine große Auswahl an Fördermaterial zur Lese-Rechtschreibschwäche, die von den Legasthenie-Therapeuten im Rahmen ihrer Förderung von Kindern genutzt und empfohlen werden, die Sie aber auch direkt für eine häusliche Förderung Ihrer Kinder einsetzen können. Zum Teil gibt es von den professionellen Fördermaterialien abgespeckte Versionen für das häusliche Üben, oder speziell für den häuslichen Bereich entwickelte Software, Lernspiele und Lernhefte. Gemessen an den Kosten und dem zeitlichen Aufwand für einen außerschulischen Förderunterricht in Kleingruppen kann auch ein relativ teures, hochwertiges Softwareprogramm eine gute Alternative darstellen. Wichtig ist anzuerkennen, dass LRS-Kindern das Lernen von Lesen und Schreiben schwerfällt, und sich daher aus dem Förderunterricht, der Software oder den Lernmaterialien Freude und Spaß am Lernen ergeben müssen. Insgesamt sollte man die Kinder nicht überfordern. Und letztlich muss man anerkennen, dass eine Behinderung durch Legasthenie, wenn sie stärker ausgeprägt ist, vermutlich trotz allem Fleiß, allem guten Willen und aller Förderung ein Leben lang fortbestehen wird, denn die zugrunde liegende neurophysiologische Störung bleibt bestehen. Jedes Programm und jeder Förderunterricht, die eine Beseitigung der LRS in kurzer Zeit versprechen, müssen daher Anlass zu großer Skepsis geben.

Legasthenie in der weiterführenden Schule und im Beruf

Daher ist es auch ein Trugschluss der geltenden KMK-Erlasse, dass eine objektiv diagnostizierte Legasthenie spätestens mit der 10. Klasse ausgeheilt sei oder sich „auswachse“.  Die Wissenschaft hat längst den Beweis erbracht, dass solche Wunderheilungen nicht geschehen, sich Legasthenie eben nicht mit der Zeit auswächst und daher als dauerhafte Behinderung anzusehen ist. Nach der europäischen und deutschen Gesetzgebung darf niemand wegen seiner Behinderung in Beruf und Lebensentfaltung benachteiligt werden. Dies gilt nicht nur für anerkannte Schwerbehinderungen, sondern auch für andere Formen einer Behinderung. Legasthenie ist eine medizinisch klar umschriebene und objektiv messbare Störung im Sinne der ICD 10 (F 81) und wurde von der Rechtsprechung zum Prüfungsrecht in den vergangenen Jahren mehrfach als Behinderung bestätigt. Die schulrechtlichen Regelungen in den Ländern verstoßen gegen das Grundgesetz, wenn sie Schülerinnen und Schüler mit Teilleistungsstörungen wie Legasthenie keinen begabungsgerechten Schulabschluss erlauben, weil auf ihr Handicap keine Rücksicht genommen wird. Die höheren Bildungsabschlüsse legasthenischer Schüler bleiben im Verhältnis zu ihrer Intelligenz und ihren sonstigen Fähigkeiten deutlich zurück. In einer Gesellschaft, in der ohnehin fast 10% eines Jahrganges keinen Bildungsabschluss erreichen, ist dies nicht nur wegen des Verbots der Benachteiligung Behinderter, sondern auch wegen der Vergeudung wertvoller kreativer Ressourcen unserer Kinder eine nicht akzeptable Situation, gegen die sich Eltern legasthenischer Kinder mit allen zulässigen Mitteln wehren sollten. Lesen und richtig Schreiben sind zwar wichtige Aspekte im Berufsleben, aber die heutigen technischen Möglichkeiten erlauben auch Legasthenikern, Fach- und Leitungsaufgaben in unserer Berufswelt gut auszufüllen.

Die Kompetenz, einen Nachteils- und Notenausgleich auch nach der 9. Klasse zu gewähren, haben Klassenkonferenz und Schulleitung. Die Rechtsgrundlage ergibt sich aus den genannten Antidiskriminierungsrichtlinien des deutschen und europäischen Rechts. Bei Berufsschulen, Industrie- und Handelskammern, Arbeitgebern, Universitäten und ihren Zulassungsstellen ist die Berücksichtigung der Teilleistungsschwäche Legasthenie analog zu anderen Behinderungen schon weiter fortgeschritten als in unseren weiterführenden Schulen. Hier haben legasthene Kinder bessere Chancen als heute noch in der gymnasialen Oberstufe, sich mit ihrer Behinderung angemessen zu entwickeln. Sollten sich Schulleitung und Klassenkonferenz im Einzelfall nicht in der Lage sehen, bei ansonsten angemessenen schulischen Leistungen eine Befreiung von der Lese- und Rechtschreibleistung in allen (!) Fächern auch über die 9. Klasse hinaus zu gewähren, erscheinen Musterklagen gegen die Schule und in zweiter Instanz gegen die Schulbehörde im Sinne der Antidiskriminierungsrichtlinie als durchaus erfolgversprechend. Der Bundesverband Legasthenie und Dyskalkulie hat hierzu durch Frau Prof. Dr. Christine Langenfeld, Institut für öffentliches Recht, Georg-August-Universität Göttingen, eine rechtsgutachterliche Stellungnahme  erstellen lassen und wird Ihnen auf Anfrage möglicherweise Rechtsschutz in einem Musterverfahren gewähren.

legastheniker„Legastheniker, stürmt die Gymnasien“, hat unser legasthenische Sohn Julian schon 2009 in einem vielbeachteten Artikel in der Berliner Morgenpost aufgefordert.

Ein Kommentar zu “LRS Förderung und Legasthenie erkennen – von der Grundschule bis in den Beruf”

  1. Gut zu wissen, dass Legasthenie bedeutet, dass es dem Kind besonders schwer fällt das Lesen und Schreiben zu erlernen. Gerade wenn wir merken, dass die Verwechslung von Lauten über die erste Klasse hinaus anhält, ist es wichtig unser Kind rechtzeitig entsprechend zu fördern. Ich wusste nicht, dass Legasthenie als diagnostischer Fachbegriff für eine umschriebene Störung im Erlernen der Schriftsprache steht.

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