Warum frühkindliche Sprachförderung?

Europaweit gibt es Millionen funktionaler Analphabeten im Jugend- und Erwachsenenalter. Mit diesem Satz beginnt ein Tagespiegelartikel von 2012. Die Zahl in Deutschland lebender Kinder, die nicht oder nicht über ausreichende muttersprachliche Kompetenzen verfügen, ist insbesondere durch den Zuzug von Flüchtlingen seit 2015 drastisch gestiegen. Der Erwerb des Deutschen als Muttersprache ist aber die beste Grundlage für einen erfolgreichen Bildungsweg. Wie werden also Kinder zu Muttersprachlern? Auf welchen Grundlagen kann eine frühkindliche Sprachförderung aufbauen? Und was sind die wichtigsten Förderansätze dafür?

Was schon Neugeborene können

Viereinhalb Monate dauert es, bis der Fötus im Mutterleib Ohren herausgebildet hat. Von nun an kann er  – eingeschränkt durch die Flüssigkeit, in der er schwimmt – immerhin die Sprachmelodie seiner Mutter und erste Phoneme wahrnehmen. Bald schon folgen prosodische Unterscheidungen hinsichtlich der Intonation von Wörtern oder Sätzen. Daher verfügt das Neugeborene beim Schreien dann schon über eine für seine muttersprachliche Umgebung typische Betonung. Ein Baby aus dem französischen Sprachkontext akzentuiert einen zweisilbigen Ausruf also anders als sein im deutschsprachigen Raum geprägtes Pendant.

Wie Babys Muttersprache erwerben

Babys und MutterspracheDie Muttersprache ist die Sprache, die ein Baby in Interaktion mit seinem Lebensumfeld erlernt. Die zuständige Hirnareale für diese Lernleistung sind zugleich für soziales Lernen im allgemeinen zuständig. Muttersprachlicher Spracherwerb und ein regelgeleiteter Austausch mit den Menschen im direkten Umfeld sind also aufs Engste miteinander verbunden. Ein Baby lernt eine Muttersprache nicht über die nebenbei wahrgenommenen Unterhaltungen in Supermarkt oder U-Bahn und auch nicht über Sprachberieselung durch Fernsehen oder Hörspiele. Dementsprechend zeigen Forschungsergebnisse, dass allein die direkte Interaktion mit Bezugspersonen zum Erwerb der Muttersprache führt. Ein Baby muss angesprochen werden. Es braucht Blickkontakt und es braucht eine alterstypische Kommunikation. Die vereinfachten und in der Tonlage erhöhten Sprachmuster, in die Erwachsene im Umgang mit Babys intuitiv verfallen, erleichtern tatsächlich dem Säugling die ersten Lernschritte. Wenn ein Kleinkind dann in den Kindergarten kommt, neigt sich die effektivste Lebensphase für das Erlernen einer oder mehrerer Muttersprachen in der Regeln dem Ende zu. Das Zeitfenster für das spontane Erlernen einer Sprache schließt sich nach dem dritten Lebensjahr. Kleinkinder, die im Kindergartenalter nur über wenige oder keine Deutschkenntnisse verfügen, können ein muttersprachliches Niveau nur noch über einen deutlich erhöhten Aufwand erreichen.

Warum Sprache so wichtig ist

Frühkindlilche Sprachförderung und Soziales LernenIm Kindergarten kommt es zu einem Rückkopplungsprozess in der direkten Verknüpfung von Spracherwerb und sozialem Lernen im Gehirn. Eine Wechselwirkung tritt ein. Wer über entwickelte Sprachkenntnisse verfügt, lernt besser und schneller, sich auf soziale Regeln einzustellen. Im Kindergarten wollen alle irgendetwas und nicht alle wollen dasselbe. Es muss verhandelt werden, Lösungen müssen gefunden, Kompromisse geschlossen und Verständigungen erzielt werden. Dabei ist Sprache das zentrale Werkzeug. Das sprachliche Vermögen erleichtert dann wieder die Erweiterung der sozialen Kompetenz. War das zwischenmenschliche Miteinander zunächst die Grundbedingung für das Erlernen der Muttersprache, so ist die Muttersprache nun zugleich die beste Grundlage für ein sich entwickelndes Miteinander. Defizite in der muttersprachlichen Entwicklung erweisen sich schließlich auch als zentrale Hindernisse im weiteren Bildungserwerb. Mangelnde Lesekompetenz oder
Leistungsschwächen in mathematischen und naturwissenschaftlichen Bereichen sind oft auf unzureichende sprachliche Entwicklung und Förderung zurückzuführen. Besonders betroffen sind davon Kinder aus Familien mit niedrigem sozioökonomischen Status und/oder einem Migrationshintergrund.

Wie wird Sprachförderung konkret?

Material zur frühkindlichen SprachförderungEs gibt viele verschiedene Ansätze zur Sprachförderung. Grundsätzlich kann unterschieden werden zwischen additiven und alltagsintegrierten Methoden. Additive Sprachförderung findet in zusätzlichen Fördergruppen statt. Alltagsintegrierte Ansätze zielen auf tägliche Sprech- und Spielsituationen ab. Hier
können die individuellen Bedürfnisse und Interessen des Kindes und die Besonderheiten seines Lebensumfeldes berücksichtigt werden.
Eine zweite zentrale Unterscheidung betrifft den Zeitpunkt der Anwendung. Bestimmte Materialien zur Sprachförderung sind für den Einsatz gedacht, wenn ein Förderbedarf festgestellt worden ist. Sie reagieren also auf einen als defizitär bestimmten Leistungsstand. Andere Materialien sind für alle Kinder
gedacht, unabhängig von einem Sprachförderbedarf.

Der Alltagsintegrierte Ansatz

Der erste Schritt besteht darin, eine Situation als geeignet für Sprachförderung zu erkennen. Kinder brauchen auch Ruhephasen, in denen sie durch aktive Sprachangebote überfordert sind. Im zweiten Schritt muss ein öffnender Kontakt zum Kind hergestellt werden. Dies setzt eine harmonische Beziehung
zwischen den Gesprächspartnern und das Gefühl von Geborgenheit auf seiten des Kindes voraus. Der dritte Schritt muss im Einklang mit seinen Bedürfnissen stehen und erfordert insbesondere eine anregende Umgebung (z.B. Räume mit vielen veränderbaren Elementen). Das Kind muss ermutigt werden, eigene Ideen auszuprobieren, es braucht Zeit, und die Sprachförderung muss
situationsorientiert stattfinden. Im vierten Schritt erfolgt die schriftliche Dokumentation, die Sprachsituationen und eventuelle Lernfortschritte werden festgehalten.

Die Methode Kon-Lab

Kon-Lab SprachrhythmusDas Sprachförderprogramm Kon-Lab gilt als das am häufigsten eingesetzte Programm in Kindertagesstätten. Kon-Lab steht für „Konstanzer Labor“ und wurde an der Universität Konstanz zur frühen Sprachförderung in Kindergärten und Schulen entwickelt. Im Mittelpunkt des Ansatzes steht die spielerische Vermittlung sprachrhythmischer Regeln. Da es mehrmals in der Woche als Ergänzung zum Gruppenalltag durchgeführt werden soll, zählt Kon-Lab zu den additiven Methoden. Es ist gleichermaßen für Kinder im Zweitspracherwerb und für Kinder mit Defiziten im Erstpracherwerb gedacht. Die Übungen sind dabei nicht auf den jeweiligen Sprachstand der Kinder abgestimmt. Stattdessen wird versucht, Kinder noch einmal durch die natürlichen Spracherwerbsphasen zu führen.
Sprachförderung mit Kon-Lab ist in drei sogenannten „Interventionsstufen“ aufgebaut:
1. Sensibilisierung für sprachrhythmische Prinzipien als Grundlage für den Wortschatzerwerb
2. basaler Grammatikerwerb, insbesondere Artikelgebrauch und basale Regeln des Satzbaus zur Bildung eines grundsätzlichen Sprachverständnisses
3. Verknüpfung der ersten beiden Stufen: Verständnis von Nebensätzen, Fragen und Zeitstrukturen

Das Känguru-Konzept

Känguru VereinDas Sprachförderprogramm Känguru ist speziell für Kinder im Alter von 18-36 Monaten und mit Migrationshintergrund entwickelt worden. Das Känguru-Konzept zielt also auf den Erwerb von Deutsch als zweiter Muttersprache ab, indem es die Phase intuitiven Lernens zu nutzen versucht. Auch hier wird durch einen strukturierten und spielerischen Input, Kindern der deutschen Sprachrhythmus gezielt vermittelt und ihnen die Regel-Entdeckung erleichtet. Eltern und andere Bezugspersonen werden dabei einbezogen und angeleitet, wie sie den bilingualen Spracherwerb des Kindes unterstützen können. Känguru verbindet also additive Fördereinheiten mit dem alltagsintegrierten Ansatz. Der Känguru-Verein für frühkindliche Bildung e.V bietet die Möglichkeit, über einen Zeitraum von 6 Monaten  wöchentliche Sitzungen von Fachkräften in Familienzentren oder Kindertagesstätten durchzuführen. Kinder mit nicht ausreichenden Deutschkenntnissen können mit diesem Angebot schon vor dem Eintritt in den Kindergarten muttersprachlich gefördert werden.

Quellenverweise:

  • https://de.wikipedia.org/wiki/Spracherwerb
  • https://www.nifbe.de/component/themensammlung?view=item&id=279:sprachfoerder-ansaetze-im-elementarbereich&catid=76
  • https://www.nifbe.de/fachbeitraege/beitraege-von-a-z?view=item&id=283:alltagsintegrierte-sprachbildung&catid=76
  • http://sprachheilwiki.dgs-ev.de/wiki/doku.php?id=intervention:konlab_nach_penner_2004
  • http://www.kaenguru-sprache.de/das-konzept.html

2 Kommentare zu “Warum frühkindliche Sprachförderung?”

  1. Toll, dass früh ein Augenmerk auf den Spracherwerb von Kindern mit Migrationshintergrund gerichtet wird. Das Känguru Modell ist ein guter Ansatz. Meine Nichte geht seit diesem Monat in einen Kindergarten mit Sprachförderung in Englisch. Ich denke, dass solche frühen Ansätze den Kinder unglaublich viel bringen.

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